Verfall und Verjährung von Urlaub: Das sollte deine Agentur über Resturlaub wissen
Viertes Quartal, der letzte Pitch ist gelaufen und plötzlich häufen sich die Urlaubsanträge: „Ich habe noch 15 Tage übrig", „Kann ich die 8 Tage aus 2023 noch nehmen?" oder „Was passiert eigentlich mit meinen Urlaubstagen, wenn ich kündige?" Als Agenturinhaber:in oder HR-Beauftragte kennst du diese Situationen. Neben der Budgetplanung bringt das Jahresende auch jede Menge Fragen rund um den Resturlaub mit sich. Die gute Nachricht: Mit den richtigen Infos und ein paar organisatorischen Kniffen kommt dein Team zu seinem wohlverdienten Urlaub, während du teure Überraschungen und rechtliche Stolperfallen vermeidest.
Inhalt
Warum Urlaubsrecht für Agenturen so komplex ist
Die aktuelle Rechtslage: Urlaub verfällt nicht mehr automatisch
Die wichtigsten Fristen im Überblick
Kosten und Risiken bei Nicht-Information über Resturlaub
Was ihr als Arbeitgeber:in konkret tun müsst (inkl. Musterschreiben zum Download)
Besondere Situationen in Agenturen
Digitale Tools für besseres Urlaubsmanagement
Präventive Maßnahmen für den Agenturalltag
Warum Urlaubsrecht für Agenturen so komplex ist
Agenturen leben vom Projekttakt: Mal läuft alles entspannt, dann brennt es wieder lichterloh bei drei Kund:innen gleichzeitig. In solchen Phasen bleibt der Urlaub oft auf der Strecke. Das Team schiebt die freien Tage vor sich her, weil der Launch nicht warten kann oder die Präsentation am Freitag stehen muss.
Das Ergebnis: Viele Mitarbeitende starten mit Resturlaub ins neue Jahr. Was passiert mit diesen Tagen? Das hängt von dir bzw. deiner Agentur ab. Wenn ihr nicht richtig handelt, kann das teuer werden.
Wem steht wie viel Urlaub zu? Das haben wir dir in unserem Guide zusammengefasst.
Die aktuelle Rechtslage: Urlaub verfällt nicht mehr automatisch
Früher war die Sache klar: Urlaub musste bis zum 31. Dezember genommen werden, in Ausnahmefällen bis zum 31. März des Folgejahres. Sonst war er weg. Punkt. Diese Zeiten sind vorbei. Seit den Grundsatzurteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in den letzten Jahren haben Arbeitgeber:innen eine Hinweispflicht. Sprich: Sie müssen ihre Beschäftigten darüber informieren, dass ihnen noch Urlaub zusteht und dass er verfällt, wenn sie ihn nicht rechtzeitig nehmen.
Das BAG stellt klar: Arbeitgeber:innen müssen "konkret und in völliger Transparenz" dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden in der Lage sind, ihren Jahresurlaub zu nehmen. Hierzu hat eine förmliche Aufforderung an sie zu erfolgen. Heißt im Klartext:
Resturlaub verfällt nur, wenn die Agentur die Mitarbeitenden
- im laufenden Kalenderjahr auf den Resturlaub hingewiesen hat,
- sie zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen
- und sie klar und verständlich über den drohenden Verfall informiert hat.
Das bedeutet für euch als Agenturinhaber:innen: Ihr könnt euch nicht mehr darauf verlassen, dass nicht genommener Urlaub automatisch verfällt. Ohne ordnungsgemäßen Hinweis sammeln sich die Urlaubsansprüche eurer Mitarbeiter:innen über Jahre an. Das kann zum finanziellen Risiko werden.
Die wichtigsten Fristen im Überblick
Grundsätzlicher Übertragungszeitraum
Nicht genommener Urlaub kann grundsätzlich bis zu drei Monate ins folgende Kalenderjahres mitgenommen werden. Der späteste Verfallstag für normalen Urlaubsanspruch ist daher der 31. März des Folgejahres.
Beispiel: Urlaub aus 2025 muss bis zum 31. März 2026 genommen werden – aber nur, wenn ihr eurer Hinweispflicht nachgekommen seid.
Die dreijährige Verjährungsfrist
Die regelmäßige Verjährungsfrist für Urlaubsansprüche beträgt drei Jahre. Entscheidend ist aber: Diese Frist beginnt nicht automatisch mit dem Ende des Jahres, sondern erst nach Erfüllung der Hinweispflicht durch den Arbeitgeber.
Achtung: Urlaubsansprüche können auch noch aus früheren Jahren geltend gemacht werden, sofern der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist. Das kann bedeuten, dass ihr plötzlich Urlaubsansprüche aus 2021, 2022 oder 2023 abgelten müsst.
Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen
Arbeitsvertraglich sind manchmal andere Ausschlussfristen für die Urlaubsabgeltung vereinbart. Häufig beträgt diese nur drei Monate. Tarifvertraglich können die Ausschlussfristen noch kürzer sein. Aber Vorsicht: Auch diese Klauseln greifen nur, wenn ihr eurer Hinweispflicht nachgekommen seid.
Kosten und Risiken bei Nicht-Information über Resturlaub
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Mitarbeiterin verlässt nach drei Jahren die Agentur. Jedes Jahr hat sie zehn Urlaubstage nicht genommen. Bei einem Tagessatz von 200 Euro entstehen Abgeltungsansprüche von 6.000 Euro, wenn die Hinweispflicht nicht erfüllt wurde.
Bei einem 20-köpfigen Team können sich schnell fünfstellige Beträge ansammeln, wenn Urlaubsansprüche über Jahre nicht verfallen und am Ende abgegolten werden müssen.
Was ihr als Arbeitgeber:in konkret tun müsst
Die rechtzeitige Aufforderung
Ihr müsst eure Mitarbeitenden aktiv dazu auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Ein einfacher Hinweis im Arbeitsvertrag oder in der Betriebsvereinbarung reicht nicht aus. Die Aufforderung muss konkret und rechtzeitig erfolgen, und das am besten schriftlich.
Praktisches Vorgehen:
- Spätsommer/Herbst: Erste Erinnerung an noch offene Urlaubstage
- Oktober/November: Konkrete Aufforderung mit Hinweis auf Verfall zum 31. März
- Januar/Februar: Letzte Erinnerung an die übertragenen Urlaubstage
Der Hinweis auf den drohenden Verfall
Die Mitarbeitenden müssen klar erfahren, dass ihr Urlaub verfällt, wenn sie ihn nicht bis zu einem bestimmten Datum nehmen. Formulierungen wie "Bitte denkt an euren Urlaub" reichen nicht aus. Es muss deutlich werden, was passiert, wenn der Urlaub nicht genommen wird.
Musterschreiben dazu kannst du dir hier herunterladen.
Dokumentation ist alles
Dokumentiert jeden Hinweis und jede Aufforderung sorgfältig. Im Streitfall müsst ihr beweisen können, dass ihr eurer Hinweispflicht nachgekommen seid. E-Mails mit Lesebestätigung, schriftliche Mitteilungen mit Unterschrift oder dokumentierte Gespräche helfen euch dabei.
Resturlaub: Besondere Situationen in Agenturen
Krankheit und Urlaubsverfall
Grundsätzlich gilt: Wenn Beschäftigte bis zum Ende des Urlaubsjahres oder der Übertragungsfrist wegen Krankheit ihren Urlaub nicht nehmen können, bleibt der Urlaubsanspruch zunächst bestehen.
Damit sich die Urlaubsansprüche bei längerer Krankheit nicht unbegrenzt anhäufen, haben der EuGH und später das BAG eine Grenze gesetzt.
Praxis-Tipp: Auch bei längerer Krankheit müsst ihr den Hinweis geben – allerdings in angemessener Form und zum richtigen Zeitpunkt.
Kündigung und Urlaubsabgeltung
Nicht unüblich in der Agenturwelt: Kreative kündigen und ziehen weiter. Grundsätzlich haben sie natürlich Anspruch auf Abgeltung nicht genommener Urlaubstage. Jedenfalls je nach Kündigungszeitpunkt anteilig für das Kalenderjahr.
Im idealen Fall nehmen sie ihre restlichen Urlaubstage, bevor sie die Agentur verlassen. Das klappt aber nicht immer. Dann werden die Tage in der Regel ausbezahlt. Auch hier ist es also besser für eure Liquidität, wenn sich hier gar nicht erst ein Rattenschwanz an Resturlaubstagen angesammelt hat.
Übertragung bei Projektende
In Agenturen enden Projekte oft abrupt oder verschieben sich kurzfristig. Wenn dadurch geplanter Urlaub nicht genommen werden kann, wird er automatisch ins nächste Jahr übertragen. Aber nur bis zum 15. März. Deshalb: Auch hier sicherheitshalber einen Hinweis auf den späteren Verfall absetzen.
Besonderheiten bei Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen
Viele Agenturen sind nicht tarifgebunden, aber wenn doch, gelten oft besondere Regelungen. Auch Betriebsvereinbarungen können vom gesetzlichen Standard abweichen, allerdings nur zu Gunsten der Arbeitnehmer:innen. Prüft eure Regelungen regelmäßig auf Aktualität und rechtliche Zulässigkeit.
Digitale Tools für besseres Urlaubsmanagement
Moderne HR-Software wie Personio kann euch das Leben deutlich erleichtern. Solche Tools bieten einen einfachen Überblick über die bereits genommenen Tage und berechnen die verbleibenden Urlaubsansprüche automatisch. Besonders praktisch für Agenturen wird es, wenn die Software sich in Projektplanungstools integrieren lässt. Dann können Projektkalender und Urlaubsplanung verknüpft werden.
Checkliste: So trägt deine Agentur Sorge dafür, dass Urlaubsansprüche sich nicht ins Unermessliche steigern
Eine Bugwelle an Arbeitstagen vor sich her zu schieben, ist nicht nur für eure Planung schwierig. Es ist auch im Sinne eurer Mitarbeitenden, dass ihr sie dazu motiviert, ihren Urlaub zu nehmen. Denn die Zeit ist gesetzlich zur Erholung vorgeschrieben. Mit dieser Checkliste behältst du den Überblick:
Während des Jahres
✅ Urlaubsstand regelmäßig im Blick behalten
✅ Bei hohen Resturlaubsständen frühzeitig das Gespräch suchen
✅ Flexible Urlaubsregelungen für Projektphasen etablieren
✅ Vertretungsregelungen klar definieren
Zum Herbst (September/Oktober)
✅ Erste Erinnerung an offene Urlaubstage versenden
✅ Gemeinsame Urlaubsplanung für das Jahresende
✅ Betriebsferien und Feiertage berücksichtigen
Zum Jahresende (November/Dezember)
✅ Konkrete schriftliche Aufforderung mit Verfallshinweis
✅ Dokumentation aller Hinweise
✅ Klärung von Übertragungen ins Folgejahr
Im neuen Jahr (Januar bis März)
✅ Letzte Erinnerung für übertragene Urlaubstage
✅ Klare Fristsetzung bis 31. März mit Hinweis, dass sie danach verfallen
✅ Nachfassen bei noch offenen Urlaubstagen
Präventive Maßnahmen für den Agenturalltag
Kommt es immer wieder vor, dass sich zum Ende des Jahres die Urlaubstage anhäufen? Dann gibt es dafür vermutlich strukturelle Gründe. Die stecken übrigens auch hinter der oft gehörten Begründung "Aber wir haben halt immer so viel zu tun".
Es lohnt sich, einmal genauer hinzuschauen. Denn wenn ihr gesund und effizient arbeiten wollt, gehört Urlaub einfach dazu. Das könnt ihr tun:
Urlaubskultur etablieren
Schafft eine Kultur, in der Urlaub als wichtig und notwendig angesehen wird. Wenn die Geschäftsführung selbst regelmäßig Urlaub nimmt und das Team dazu ermutigt, entstehen weniger Probleme mit angesammelten Urlaubstagen.
Flexible Arbeitsmodelle
Agenturen profitieren von flexiblen Lösungen: Halbe Urlaubstage, spontane freie Nachmittage oder die Möglichkeit, nach intensiven Projektphasen mehr Urlaub zu nehmen, reduzieren die Resturlaubsproblematik.
Regelmäßige Kommunikation
Macht das Thema Urlaub zu einem festen Bestandteil eurer Mitarbeitendengespräche. Fragt aktiv nach Urlaubsplänen und bietet Unterstützung bei der Planung an. Oft kann schon das Organisieren einer Vertretung die langersehnte Reisebuchung in Gang bringen.
Die neuen Regeln zum Urlaubsverfall mögen auf den ersten Blick kompliziert erscheinen, aber mit der richtigen Organisation und klaren Prozessen lassen sie sich gut handhaben. Der wichtigste Punkt: Seid proaktiv und dokumentiert eure Hinweise sorgfältig. Dann müsst ihr euch keine Sorgen über unerwartete Urlaubsabgeltungen machen und könnt euch auf das konzentrieren, was ihr am besten könnt: Großartige Kampagnen entwickeln.
Ihr möchtet euch ganz auf euer Kerngeschäft fokussieren und die HR-Administration professionell abwickeln lassen? Bei summarum übernehmen wir das komplette Personalwesen, von der Urlaubsverwaltung bis zur rechtssicheren Dokumentation aller Prozesse und Verträge.
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